Kein Verstoß gegen Treu und Glauben bei betriebsbedingter Kündigung fünf Monate nach vereinbarter Vertragsverlängerung

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 28.09.2012 – 4 Sa 569/12

Es stellt keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, den er zuvor mit dem Bemerken, dieser sei sein „bester Arbeitnehmer“, und einer Gehaltserhöhung von 500,– € zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bewegt hat, fünf Monate später eine ordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ausspricht.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.05.2012 – 4 Ca 2937/11 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darum, ob die vom Beklagten am 25.07.2011 zum 31.12.2011 ausgesprochene Kündigung trotz Nichteingreifen des § 1 KSchG wegen fehlender Betriebsgröße nach § 23 KSchG deshalb das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, weil sie als widersprüchlich gegen Treu und Glauben verstieße. Die Parteien streiten ferner über Folgeansprüche aus Annahmeverzug.

2

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens der Parteien sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 3 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

3

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 08.05.2012 die Klage insoweit abgewiesen, als sie Gegenstand der Berufung ist. Es hat der Klage insoweit stattgegeben, als der Kläger geltend gemacht hatte, der Beklagte habe ihm, als man sich auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Februar 2011 geeinigt habe, eine monatliche Gehaltserhöhung von 500,00 € zugesagt. Dem entsprechenden Zahlungsantrag hat das Arbeitsgericht stattgegeben.

4

Gegen dieses ihm am 18.05.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11.06.2012 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 18.08.2012 am 16.08.2012 begründet.

5

Der Kläger rügt im Wesentlichen, dass das Arbeitsgericht nicht hinreichend beachtet habe, dass er sich auf ein widersprüchliches Verhalten des Beklagten als typischen Fall des § 242 BGB berufen habe. Er verweist dazu auf sein erstinstanzliches Vorbringen, wonach der Beklagte, der den Kläger seinerzeit nicht habe verlieren wollen, ihm, dem Kläger, im Beisein des Zeugen S F unmittelbar vor dem 01.03.2011 gebeten habe, dass der Kläger seine neue Arbeitsstelle bei der Firma F. GmbH & Co. KG zum 01.03.2011 bitte nicht antreten möge und den ausdrücklichen Wunsch geäußert habe, dass der Kläger dem Unternehmen des Beklagten erhalten bleiben möge, wobei der Beklagte darauf hingewiesen habe, dass der Kläger doch sein „bester“ und „vertrauensvollster“ Arbeitnehmer sei und der Kläger zudem noch die größten Umsätze von allen Arbeitnehmern in dem Betrieb des Beklagten generiere und der Beklagte deshalb nicht auf den Kläger verzichten könne. Er, der Kläger – so dieser weiter – habe die neue Arbeitsstelle deshalb nicht angetreten und seine Entscheidung gegenüber der Geschäftsführung des neuen Arbeitgebers damit begründet, dass ein Dienstantritt aufgrund einer „bestimmten Klausel“ in seinem bisherigen Arbeitsvertrag nicht möglich sei.

6

Wegen des übrigen Inhalts der Berufungsbegründung wird auf diese (Bl. 148 ff. d. A.) Bezug genommen.

7

Der Kläger beantragt,

8

1. unter Abänderung des am 08.05.2012 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Aachen – 4 Ca 2937/11 – festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigungserklärung des Beklagten vom 25.07.2011, dem Kläger zugegangen am 25.07.2011, beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

9

2. unter Abänderung des am 08.05.2012 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Aachen – 4 Ca 2937/11 – den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 27.860,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus EUR 3.980,00 seit dem 16.02.2012, aus EUR 3.980,00 seit dem 16.03.2012, aus EUR 3.980,00 seit dem 16.04.2012, aus EUR 3.980,00 seit dem 16.05.2012, aus EUR 3.980,00 seit dem 16.06.2012, aus EUR 3.980,00 seit dem 16.07.2012 und aus weiteren EUR 3.980,00 brutto seit dem 16.08.2012 zu zahlen;

10

Die Beklagte beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen seiner Ausführungen wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 173 – 175 d. A.) Bezug genommen.

13

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.


Entscheidungsgründe

14

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hatte in der Sache keinen Erfolgt.

15

I. Grundsätzlich gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben auf Kündigungen im Kleinbetrieb Folgendes (vgl. hierzu und zum Folgenden: BAG 21.02.2001 – 2 AZR 15/00):

16

Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen ist. Die Vorschrift des § 242 BGB ist auf Kündigungen neben § 1 KSchG allerdings nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und – soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes geht – abschließend geregelt. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Dies gilt auch für eine Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der 6-monatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet. Typische Tatbestände der treuwidrigen Kündigung sind insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine Kündigung, die den Arbeitnehmer diskriminiert.

17

Neben diesen dargestellten Grundsätzen ist indes zu beachten, dass das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung, in der es um die Anwendung des § 242 BGB auf eine Kündigung in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ging, Folgendes ausgeführt hat: Ist eine Abkürzung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht vereinbart, so gilt für eine arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung während der 6-monatigen Wartezeit der Grundsatz der Kündigungsfreiheit … Wer sich von seinem bisherigen Arbeitgeber abwerben lässt und mit dem abwerbenden Arbeitgeber nicht vereinbart, dass die Kündigung für eine bestimmte Zeit ausgeschlossen ist, übernimmt das Risiko, das ihm der neue Arbeitgeber vor Ablauf der in § 1 Abs. 1 KSchG bestimmten Frist von sechs Monaten ordentlich kündigt. Zur Wirksamkeit einer derartigen Kündigung in der Wartezeit bedarf es nicht des Vorliegens von personen- verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen. Es bedarf auch keines irgendwie gearteten – verständigen, sinnvollen oder sachlichen Grundes – für die Wirksamkeit der Arbeitgeberkündigung …“

18

Ausdrücklich hat das Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang hinzugefügt, dass ein solcher Fall nicht die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam mache, obwohl das Bundesarbeitsgericht in derselben Entscheidung wiederum Fälle widersprüchlichen Verhaltens des kündigenden Arbeitgebers als typische Beispiele für eine treuwidrige Kündigung benennt (BAG 24.10.1996 – 2 AZR 874/95).

19

II. Danach gilt im vorliegenden Fall Folgendes: Der nach dem Vorbringen des Klägers gegebene Fall, dass der Beklagte ihn, den Kläger, davon abgebracht hat, sein Arbeitsverhältnis bei dem Beklagten aufzugeben und zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, dieses unter Versprechen eines um 500,00 € erhöhten Gehaltes, ist unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht anders zu bewerten als die Abwerbung eines Arbeitnehmers von einem anderen Arbeitgeber. Auch hier hätte der Kläger, hätte ihm das erhöhte Gehalt nicht dafür gereicht, die Absage bei dem neuen Arbeitgeber davon abhängig machen können, dass der Beklagte mit ihm, dem Kläger, den Ausschluss der ordentlichen Kündigung für eine bestimmte Zeit (im Sinne einer Mindestbefristung) vereinbarte. Dieses hat der Kläger indes nicht getan. Er hat das höhere Gehalt akzeptiert und ist bei dem Beklagten geblieben. Der Fall ist nicht anders zu beurteilen als der vom Bundesarbeitsgericht am 24.10.1996 (a. a. O.) entschiedene Fall.

20

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a. a. O.) bedarf es auch in diesen Fällen keines irgendwie gearteten verständigen, sinnvollen oder sachlichen Grundes für die spätere Kündigung. Selbst wenn man einen solchen fordern wollte, läge dieser aber vor: Bereits das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Beklagte, als er den Fahrbetrieb einschränkte, und zwei Arbeitnehmern kündigte, sich an die Grundsätze der sozialen Auswahl gehalten hat und denjenigen Arbeitnehmern nicht gekündigt hat, die wegen Unterhaltspflichten sozial schutzwürdiger als der Kläger erschienen.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dieser Beitrag wurde unter Arbeitsrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.